Auch ich, auch ich...

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watzmann
Auch ich, auch ich...

...will mich vorstellen, und zwar standesgemäss als Nichtraucher.

ich heisse Wolfgang, bin 42 Jahre alt und seit dem 31.12.06 clean. Damit bin ich seit 66 Tagen Nichtraucher (stolz). Das Beenden meiner Raucherkarriere stand für mich schon länger im Raum, ich war wohl einfach reif dafür. Angefangen habe ich im zarten Alter von 16 Jahren. Vor 12 Jahren habe ich schon mal aufgehört, wegen Krankheit, hab aber nach 5 Jahren wieder angefangen...

Ich habe (im Gegensatz zum ersten Mal) wirklich alles an bekannten Folgen wuchtig mitgenommen: Unruhe, Depressionen, Pickel (Hurra, ich bin wieder 15 Jahre alt), Pupserei (uäh), Gewicht (schluchz!), Sodbrennen, Magenkrämpfe, Ehestress, Agressivität, und so weiter. Ich hatte acht wirklich miese Wochen. Da es nicht mehr schlimmer wird, scheint der Gipfel aber nun überwunden. Übrigens: (ehrliche) Kollegen haben mir erzählt, dass das ich im Job nicht so auffällig geworden bin wie ich gedacht habe. Ist ja schon mal was, ich dachte, dass ich kurz vorm Rausschmiss stehe. Und da ich gerade meine sportlichen Aktivitäten wieder aufnehme (irgendwo muss dieser plötzlich eintretende Energieschub hin), bin ich guter Hoffnung, in ein paar Monaten alle offensichtlichen Folgen des Rauchens (10 Kilo, in 8 Wochen...) in den Griff bekommen zu haben.

Meine rechnerische Bilanz: 42 - 16 - 5 = 21 Jahre. Ich habe mein halbes Leben geraucht. Bei im Schnitt 17 Kippen/Tag macht das rund 130.000 insgesamt. Und das ist noch freundlich geschätzt. Gehe ich mal von mittleren Kosten bei 2,50 €/20 Stück aus, so habe ich rund 16.250 € verraucht. Bei 6 cm gerauchtem Tabak pro Zichte ergibt das aneinandergereiht rund 780 km oder ein Volumen von rund 30 m³. Das ist ein Würfel mit über 3 m Kantenlänge aus Tabak, den meine Lunge verkraften musste!

Oder anders gesagt: ich habe mich für den Wert eines Auto's von Hamburg nach München geraucht. Wenn mich meine Gesundheit schon nicht geschert hat, dann vielleicht der schnöde Mammon oder die Vorstellung, qualmend einmal durch die Bundesrepublik zu kriechen...

Heute muss ich einsehen, dass so gut wie keine Zigarette meine eigene Entscheidung war, mein Wille wurde von Botenstoffen im Hirn und meiner Psyche überstimmt. Aber ich habe mich beim Rauchen (fast) nie mies gefühlt. Ich könnte zwar so tun als würde ich die Zeit als Raucher bereuen, aber das wäre nicht ehrlich. Rauchen fand ich gut, auch wenn ich heute wollte, dass ich es nie angefangen hätte.

Hingegen weiss ich, dass ich ab jetzt jede Zigarette schwer bereuen würde. Einfach, weil ich in den letzten zwei Monaten eine Lernphase durchgemacht habe, die wertvoll und anstrengend war. Ich habe versucht zu begreifen, was mit mir passiert, wenn ich plötzlich nur noch ZIGARETTE!!!!!!! denke, wie ich gerade versuche mich selbst zu verarschen, nur um wieder einen Zug zu nehmen. Warum ich fast jede Nacht davon träume, heimlich eine zu rauchen. Weshalb jede Form von Stress im Gedanken endet: hey, wer so unter Druck steht, der darf Rauchen, wird keiner was sagen, ist schon ok, geh los und hol Dir ne Schachtel, na los, worauf wartest Du, LOS jetzt, MACH schon, ZIGARETTE HER ABER SCHNELL!!!!!

Ich glaube, dass die Botschaft bei mir angekommen ist. Ich weiss, dass ich nie wieder Rauchen werde, obwohl ich die Sucht noch lange nicht überwunden habe. Aber neben der etwas traurigen Erkenntnis, warum ich mich fast ein Viertel Jahrhundert so erfolgreich selbst belogen habe, bin ich einfach so rasend glücklich und stolz, nicht mehr zu Rauchen, dass das einfach bis an mein Lebensende anhalten muss, was anderes ist nicht denkbar.

Jammern werd ich nicht. Ich wusste, was Rauchen für ein Mist ist. Ich hab es trotzdem getan. Blöd, ja. Ich werde dafür mit hoffentlich nur einem Teil meiner Gesundheit bezahlen und nicht zu viele Lebensjahre drangeben.

ABER: ich bin nicht ganz alleine Schuld. Eine Riesen-Industrie hat nur auf ein Zucken meinerseits gewartet, um mir die Hand zu reichen und mich ins Raucherland zu führen. Politisch geduldet. Gesellschaftlich akzeptiert. Ich musste nicht, aber der Weg war wirklich zu leicht.

UND: ich könnte schreien, wenn ich halbwüchsiges Volk mit 'ner Kippe im Hals sehe, ich weiss, welchen Weg die meisten gehen werden. Aber ich weiss, es gibt einfach kein vernünftiges Argument, das sie daran hindert zu Rauchen. Wenn die Körperchemie gerade Betriebsfest feiert und sich dann auch noch Dopamine einmischen (Pubertät meets Sucht), gewinnt die Coolness. Keiner weiss das besser als ich.

DAHER: wenn es um Rauchverbote und Einschränkungen für die Tabak-Industrie geht, stehe ich ab jetzt in der ersten Reihe. An Rauchern so eine irre Menge Geld zu verdienen und Grossaktionäre noch reicher zu machen als sie 'eh schon sind, ist inakzeptabel. Punkt. Und Tabak-Sucht ist ein Selbstgänger, die Werbung wird grösstenteils durch die Raucher selbst gemacht. Wer Rauchen will, der soll es halt tun, aber dann mit dem deutlichen Stigma der Sucht auf der Stirn: "Schatz, ich muss mal kurz die Pizza kalt werden lassen und raus in den Schnee, der Raucherplatz ist gerade frei" hat einfach zuwenig Stil, um es nachzumachen, oder?

CIAO
Wolfgang

westernhorse
Wow was ein Statement!

Wow was ein Statement!
Klasse!!

Hallo Wolfgang
Welch wahre Worte du da schreibst!
Kann ich nur voll zustimmen!

[size=24:1cd3eb7f58][color=red:1cd3eb7f58][b:1cd3eb7f58]Gratulatione zu 66 Tagen ohne Rauch! [/b:1cd3eb7f58][/color:1cd3eb7f58][/size:1cd3eb7f58]

und [b:1cd3eb7f58]Herzlich Wilkommen hier[/b:1cd3eb7f58]!

LG Andrea

watzmann
Hi,

Hi,

Danke für den netten Empfang. Was die Worte angeht, dass musste ich mir von der Seele tippen, es hat mir geholfen. Deshalb finde ich dieses Forum auch gut: wenn ich am Bildschirm sitze, dann denke ich ein bisschen bevor die Worte in die Tastatur gehämmert werden. Um dieses Denken geht es bei mir, wenn ich das Rauchen dauerhaft bleiben lassen will.

Wir verändern uns, wenn wir mit dem Rauchen anfangen, und desgleichen wenn wir wieder aufhören. Da letztere Veränderung eine sehr positive ist, wäre es traurig, sie nicht so richtig mit zu bekommen, denn sie ist der beste Grund, nicht wieder anzufangen. Ein Tagebuch wäre wirklich eine gute Idee, vor allem für mich selbst, hätte ich auch angelegt, aber ich hab dieses Forum zu spät gefunden.

Die Zeit verklärt die Erinnerung, daher werde nicht nachträglich mit dem Tagebuch anfangen. Aber ich habe ein paar Kommentare in meinen Kalender geschrieben, und wenn ich die jetzt lese, dann glaub ich einfach nicht, dass ich das geschrieben habe...

CIAO
Wolfgang

OlafSt
Salve Wolfgang,

Salve Wolfgang,

als Spätentdecker dieses Forums habe ich auch zunächst gezweifelt, ob es Sinn machen würde, ein TB anzufangen. Doch während des Tippens kamen immer mehr Erinnerungen wieder hoch und so wurde schlußendlich doch noch ein fast lückenloses TB daraus - trotz bereits "abgeleisteter" 5 Monate NMR.

NR seit 25.06.2006 - Mein TB: http://www.ohnerauchen.de/forum/tagebuch-von-olafst